Das Mängelexemplar

Das Mängelexemplar

Es lebte einst bei einem alten Antiquar

verborgen hinter Büchern eine Mäuseschar

in stiller Harmonie mit ihm bis eines Tages

des Nachbars Kater schnurrend maunzte: "Ach ich mag es

Mäusescharen, scharenweise zu verspeisen."

Nun musste andern Tags der Antiquar verreisen,

doch hatte er, die Tür zu schließen, ganz vergessen.

Da hat der Kater fast die ganze Schar gefressen.

Nur ein Mängelexemplar mit einem Ringelschwanz

war einzger Überlebender des Mausverbands,

denn er ging fern der Schar am Bücherberg spazieren.

Dort lag ein Buch, das hatte auf dem Umschlag Schlieren.

Es war auch, so wie die Maus, ein Mängelexemplar.

Ach, es war an Mängeln reicher als die Maus sogar.

Das Buch sah aus, als hätte es schon schrecklich viel erlebt.

Durch Rübensirup war die Seite zwölf so fest verklebt

mit Seite elf, dass alle Welt den Inhalt nicht mehr kannte.

Es folgten ferner ein paar schmierige und angebrannte

und obendrein bis zur Unlesbarkeit verblasste Seiten.

Der Mäuserich entschied für sich dem Buch zu unterbreiten,

den Sirup abzuschlecken und den Versuch zu wagen,

es mit sich fort zu seinem Lieblingsort zu tragen.

Jedoch das Buch war nicht nur mängelhaft, nein, auch sehr schwer.

Zum Lieblingsort im Antiquariat ging's kreuz und quer

gut siebzehn Mäusekilometer auf und ab.

Vor Schlepperei machte der Mäuserich bald schlapp.

Zuletzt jedoch erreichte er, sehr nassgeschwitzt, das Ziel.

Ein Ort, der auch dem dicken Buch auf Anhieb sehr gefiel.

Allein es gab noch Spuren von des Katers Mäusemal.

Ach, Mausgerippe, abgenagt und blitzeblank und kahl

lagen dort rings verstreut. Der arme Mäusrich

fand´s scheußlich.

Das Buch, ihn zu trösten entblößte die Seiten

und sucht´ ihm Zerstreuung und Trost zu bereiten,

was leider unmöglich gewesen.

Dabei mußt er nicht einmal lesen.

Bilder von nackigen Mäusedamen,

die allesamt sich höchst seltsam benahmen

warn da zu sehen und Herr Maus war verwirrt,

doch auch irgendwie durchaus intressiert.

Sein Ringelschwänzchen entkringelte sich

und was eben noch kringelte, schlingelte sich

nun aufgeregt über der Zeichnungen Fülle.

Und dank dieser Mausdamen bar jeder Hülle

war sein Mangel der Kringel im Schwanzerl perdu

und fortan hatte er nun ganz andere Müh.

Das Blut und die Sippe, war sturzum vergessen.

Dem Buch galt´s zu helfen sofort und stattdessen,

denn dies war noch immer mit Mängeln behaftet.

So hat nun die Maus eine Traube entsaftet

und strich ihren Saft mit Gefühl auf die Wunden

des Buchs, und so circa nach dreieinhalb Stunden

war der Mängelexempelstempel verblasst.

Da hat sich der Mäusrich ein Herz gefasst

und dem Buch seine Liebe gestanden.

Und kamen auch Seiten für immer abhanden,

die Liebe ersetzt sie so wunderbar

weil dies Buch für die Maus wie geschrieben war.

© Fey & Genähr

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