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Der Beweis

Der Beweis

Eine junge Frau, die ihren triebhaften Gatten der Untreue verdächtigte, dachte sich einmal einen Plan aus, wie sie ihn entlarven und ihrem heißen Groll genüge tun wollte. Insgeheim kaufte sie reizvolle Kleider, wie sie solche nie getragen, dazu Perücken und Schminke, Duft und Geschmeide und mancherlei mehr, was eine perfekte Maskerade macht. Damit verschwand sie unentdeckt in ihr Gemach, verriegelte sorgfältig die Tür und gab sich ans Werk, derweil der alte Mond grübelnd über die Welt dahinschwebte.

Auf einem Spaziergang im Park an einem sonnigen Nachmittag gewahrte er aus dem Kreise der Gefährten am Ufer des Schwanenteiches ein entzückendes Fräulein am Fuße einer Silberweide sitzend und in einem Büchlein lesend. Die Freunde vorausschickend stieg er hinab zu ihr und umwarb sie glühend, denn sie war wunderschön. "Du bist die Schönste", sprach er, "die Wunderbarste. O du Einzige, du Engel! Ohne dich ist jeder Atemzug sinnlos, ohne dich jeder Herzschlag vergeudet." Ihr Kleid war weiß wie Schnee, sie trug Geschmeide wie Tautropfen und Sternenstaub. Das Haar wie Gold, die Lippen von Purpurrot, da sank das Büchlein zitternd ins Gras. Die Weiden wisperten empört, und die Grillen erröteten und schauten beschämt zu Boden. - Am Abend schloß die zürnende junge Frau ein weißes Kleid fort und verbarg silbernen Schmuck in einer grauen Schachtel.

Der erste Strahl der Morgensonne kitzelte den Reisenden wach, und er fand sich allein im rumpelnden Zugabteil mit einer Frau, die war so schön, so fein ihre Züge und so lockend die Linien ihres Leibes unter sametenem Blau, als wäre sie von einem himmlischen Gemälde hinab in die Welt gestiegen. Ihre Augen ruhten auf ihm, eine Katze, dunkel und kühl, erhaben und tief. Und schon lag er, kaum noch erwacht, ein Gefangener, zu ihren Füßen, preßte ihre schlanken Hände voll Inbrunst gegen seine Lippen und warb um sie, als hinge sein Leben daran. "O Himmel, wach ich, so laß mich ewig wach sein, schlaf ich, so weck mich nimmer auf. Wer bist du? Hat dich ein Gott gesandt, so will ich fromm werden. Still, sage nichts. Ich kenne der Göttin Namen. Dein Auge hat die Farbe der Ewigkeit, deine Haut den Duft eines Engels. Bist du wirklich? Bist du mein? Ich flecht dir das Mondlicht zu Ringen, schmiede dir Sonnenfunkeln in ein Diadem. Komm näher, komm! Ich fühl dein Begehren. O werde mein, und sündig will ich dich verehren." Da wich die Kühle, die Erhabene schmolz, und das Rumpeln des Zuges gab bald schon dem sündigen Tanze den munteren Takt. - Am Abend stopfte die zornglühende junge Frau noch erhitzt blauen Samt in einen dunklen Winkel fort.

Wie ein Meer stoffwordner Musik rauschte der Regen herab aus der Unendlichkeit der Nacht und kühlte die Luft und prasselte auf den dunklen Marmor wie Tränen versagter Lust auf die Haut der Welt. Der Tänzer trat auf den Balkon, denn er war erhitzt vom Reigen. Das rauschende Fest blieb zurück, und der Regen umarmte ihn brüderlich. Er trat an die Brüstung und schaute hinab in die Dunkelheit. Er wandte sich um, durch die Fenster leuchteten golden des Saales Lichter. Doch gleich daneben, im Dunkeln, da wo wilder Efeu und Kletterrosen die Pfade zum Himmel versuchten, gewahrte er sie. Rot war ihr schwarzes Kleid und rot ihre Lippen. Weiß schimmerte ihre Haut aus dem Schatten, und die Regentropfen rangen fiebernd um ihre Berührung. Erschauernd faßte er sich ans Herz und nahte ihr, der Geheimnisvollen, durch des Regens webenden Schleier. Sie aber schlug die Augen nieder und zog sich einen Hauch zurück. Da kniete er flehend vor ihr hin. So rasch ging das zu, und er sprach zu ihr. "Hier finde ich dich, o Geliebte der Wolken. Wie weit bin ich gewandert. Alle Flüsse trocknete ich, alle Meere, alle Seen schüttete ich um, dich zu finden. Hier bist du also, und hast alle dein Gefolge, all Wasser, all Sinnesflut mit dir gebracht. Jeder Tropfen eine Perle für dich. O laß mich wie das Wasser sein, daß sich, dir zu gefallen, um deine zarten Füße stürzt." So griff er nach ihr, da gab sie sich hin. Schon sanken sie nieder, und der kalte Marmor war ihr Lager, und das Rauschen der Wasser begleitete die Melodien ihres lustvollen Bades. - Im Saal wirbelten die Tänzer vorüber, und die Lichter flackerten munter.

Jedoch, als das Spiel sein Ende fand, und als er ihr Worte der Liebe und Worte des Dankes flüstern wollte, da stößt sie ihn jäh und hart von sich fort, und ihre Augen glühen vor Zorn. Und sie reißt die Maske herab und ruft: "Sag kennst du mich, Schuft? Und kennst du die anderen zwei? Am Schwanenteich im hellen Sonnenlicht hast du ein unschuldig Mädchen verführt; das war ich! Im fliehenden Zuge eine Fremde besprungen; das war ich auch! Und zuletzt treffen wir uns hier. Und wieder bist du der Lust verfallen wie ein dumpfes Tier dem Futter allein. Dreimal also!" das rief sie und hob drohend den Arm, und ihr Gesicht verfinsterte sich und war ein Feuer des Zorns. "Und dreimal bin ich selbst der Beweis. Du Lügenbold! Du Lumpensack! Du bist entdeckt! Du untreues schimmles Stück Madengefleisch! Was kannst du jetzt noch sagen?"

Der Gatte jedoch lächelte rasch und freundlich, und er sprach: "Aber aber, mein Schatz. Drei Fremden nahte ich und doch immer wieder dir. Beweisen tut das, wie instinktiv ich dich vor allen andren liebe. Du kannst offenbar ganz beruhigt sein." Und er küßte sie ein wenig.

© Marc Fey

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