Die Spur im Schnee

Die Spur im Schnee

Der Igel machte sich schön. Er kämmte seine Stacheln, daß er beinah aussah wie ein dunkelgrauer Wattebausch. Seine Wangen waren ganz rosa vor Glück, und den Pelz auf seinem Bauch strich er sich mit den Pfoten glatt. Dann verließ er sein Loch und machte sich durch den dicken Schnee auf den Weg. Durch den Schnee? wirst du fragen. Ja, durch den Schnee. Mitten im weißesten Januar war er aufgewacht. Er war nämlich verliebt. Und er war so verliebt und so aufgeregt, daß ihm auch gar nicht kalt war, und mehr noch: so verliebt und so erhitzt, daß der Schnee da, wo er vorüberging, einfach schmolz. So war das, und so spazierte er daher. Nie wieder hat ein Waldtier eine so weithin sichtbare Spur hinterlassen wie dieser Igel. Naja.

In wen aber war er denn verliebt, möchtest du wissen. Aber das wußte der Igel doch selber nicht. Und darum mußte er ja losgehen. Sonst hätte er doch warten und an sie denken können. An die Geliebte. Alles, was er wußte, war, daß die Liebe ihn befallen hatte, so sehr wie noch nie ein Igel von ihr befallen worden war, und daß er eben einfach los mußte und sie finden. So war’s. Er marschierte und marschierte. Und er sang - ein wenig schräg und ohne Noten -, und allenthalben wurde ein Nachbar aufgeweckt und warf ärgerlich eine Nuß nach ihm oder einen Tannenzapfen, damit er Ruhe gäbe. Na, das war natürlich völlig unmöglich. Und er ging weiter durch den Wald und kam an dessen Rand und ging aufs Feld hinaus. Und er lief und lief und lief. Und er war so glücklich und so voller Hoffnung, daß ein paar Blumen versehentlich ihre Blüten präsentierten, weil sie dachten, der Frühling sei da.

Aber die Wolke hielt ihren Schnee zurück, und der Wind versuchte sanfter zu blasen, denn beide wußten, daß es kein gutes Ende nehmen konnte. Und bald wurde dem Igel frisch. Von der Liebsten war ringsumher noch keine Spur zu sehen, auch niemand sonst war da. Nur in ihm drin, da war’s gesellig und schön; außen nicht. Der Schnee schmolz jetzt nicht mehr so nachgiebig wie noch vor einer Stunde, und der Igel mußte langsamer gehen und ab und an stehen bleiben und die Pfoten aneinander reiben. Die Wärme in ihm machte sich auf den Rückzug nach dem Herzen, wo es sicherer war, denn auch sie ahnte Schlimmes. Auf seinen Stacheln gefror der Schnee zu Eis, und das kroch langsam näher und langsam tiefer, und von seiner Nase hing ein eisiger Zapfen herab. Immer langsamer ging er nun, immer schwerer waren die Pfoten und immer träger die Schritte, bis daß es zuletzt schon war, als würd er stillestehen. Die Pfoten waren ihm kalt wie der Schnee selbst, die Nase war zugefroren, und die Hoffnung hatte das Herz von innen feste verschlossen.

Es war nicht schön mit anzusehen, wie der Igel weit von zu Hause fort zu Eis erstarrte. Er stack da aus dem flachen, weißen Feld wie ein zufälliges, dorniges Gestrüpp, und der Wind deute traurig an seinen reglosen Stacheln. Dann zerbrach der Frost die Riegel des Herzens und fraß die Hoffnung auf, die sich im hintersten Winkel zusammengekauert hatte und von der Liebe träumte. Die Närrin.

© Marc Fey

Seitenanfang