Der Unglücksbote

Der Unglücksbote

Der Rabe kam eilig vom Himmel herab. Sein Blick suchte und fand das bezeichnete Haus. Er landete scharf vor dem Wind auf einer Fensterbank, schüttelte sich Regen und Sturm aus den Federn und klopfte sodann mit dem Schnabel gegen die Verschläge. Finster war der Blick und schwarz alle seine Federn. Und er stand ganz still und wartete. Ein Weilchen mehr, da hörte man Schritte, rasche Schritte, und wusste bald Hände, die das Fenster von innen her öffneten. Die Verschläge wurden aufgestoßen, der Rabe aufgescheucht, und ein junger Mann kam zum Anblick mit hoffendem, frischem Gesicht. Und der Rabe, wie er wieder platzgenommen und den Mann als den richtigen Adressaten erkannte, hub an zu ihm zu sprechen:

"Höre!", krächzte er wie Säge und Sand. "Ich bringe dir Nachricht von ..." doch er kommt nicht weiter. Denn der Mann, kaum dass er den schlimmen Vogel nur sieht, erbleicht, und die Augen weiten sich vor Entsetzen. Und mit einem Schrei wirft er das Fenster zu, das es kracht. Und ein Schluchzen hören wir innen, ein aufgelöst, klägliches Jammern.

Der Rabe stand ratlos da. Er sammelte sich und klopfte erneut. "He du, hör mich an!" versuchte er es ein zweites Mal. Aber die Stimme des Mannes weinte nur von innen und rief: "Nein! nein! Ich will nichts hören. Sie hat dich geschickt. Dich! Unglücksbote! Grabverkünder! Ich hatte gehofft. Ich hatte doch so sehr gehofft! Ich war wieder jung. Ich war wieder stark, wieder schön. Und alles umsonst. Alles nutzlos. Vergebens. Du also. Du!"

"Aber höre doch!" krächzte der Rabe wie Schädel und Stein.

"Nein!" rief der Mann. "Ich will deine Botschaft nicht hören. Ich kenn´ sie, kenne sie schon. Verschwinde! Vergeh! Lass mich in Ruh."

Da ließ der Rabe es bleiben, und er sprang in die Luft und flog davon, denn sein Auftrag war aussichtslos und die ihm aufgetragene Botschaft zu überbringen unmöglich.

Der junge Mann, vor Tränen rasch gealtert, erhängte sich noch in derselben Nacht. Seine Welt war untergegangen, so dachte er leider, und folgte ihr nach. Und so kam es, dass er nie erfuhr, dass seine Liebste ihm vergeben hatte und ihn zu sehen wünschte, zu halten und zu küssen.

Und im nahen Wald saß der Rabe zerknirscht auf einem Stein am Ufer eines Tümpels, starrte verdrossen ins spiegelnde Wasser und mühte sich sehr, nur ein wenig zu lächeln.

© Marc Fey

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